Yoga bedeutet Einheit und ist in erster Linie eine Philosophie oder eine grundlegende Lebenseinstellung. Die Asanas - also die verschiedenen Haltungen - sind nur ein Teilaspekt des Yoga. Das „Hatha Yoga Pradipika“ von Autor Svatmarama stammt in seiner Ursprungsform aus dem 14. Jahrhundert und hat erstmals verschiedene Yogahaltungen in einen Buch genauer definiert. Neben dem Yogasutra ist es eines der wichtigsten Ursprungstexte zum Thema. Ähnlich wie dieses wurde es in weit über hundert Verse unterteilt. In vielen von ihnen geht es nicht nur um Asanas, sondern auch um verschiedene andere Praktiken, um Körper und Geist zu reinigen sowie das Potenzial unseres Daseins zu entfesseln.
In meiner Ausbildung zum Yogalehrer schrieb ich unter anderem einen Aufsatz über einen ausgewählten Vers aus eben jenen Buches:
4.33 „Der Geist verschmilzt mit dem Objekt der Konzentration. Elemente, Sinne und Prana existieren ewig in allen lebendigen Wesen und sind absorbiert in Brahman.“
Der Aufsatz umfasst meine Gedanken zum Vers und ist fortan in Form eines Blogbeitrags für euch zugänglich. Viel Spaß beim Lesen.
Book Report #2
In dem Vers geht es um die Erreichung von Samadhi, der tiefen Meditation, der Auflösung von Gedanken und Bewusstsein oder Erleuchtung. Um diesen Seinszustand auch nur annähernd zu erlangen, bedarf es großer Hingabe. Es gibt verschiedene Techniken, um den Geist unter Kontrolle zu bringen, und in den meisten von ihnen geht es darum, unsere Aufmerksamkeit – unser Bewusstsein – auf ein Objekt zu konzentrieren. Dies kann der Atem sein. Es können Visualisierungen sein, die wir in unseren Gedanken bewusst erschaffen. Der Blick oder unser Gehör können sich auf Gegenstände und Klänge in der äußeren Welt fokussieren. Welche Methode wir auf wählen, am Ende ist entscheidend, dass wir die Konzentration halten und nicht den willkürlichen Gedanken aus dem Alltag erliegen.
Haben wir Erfolg, so verschmilzt unser Bewusstsein mit dem Objekt. Im selben Zuge entsteht eine Entspannung im Körper und Geist gleichermaßen. Es wird immer einfacher, die Konzentration aufrechtzuerhalten. Andere Begleiterscheinungen stellen sich ein, die von Mensch zu Mensch verschieden sein können. Dies können eine gänzlich veränderte Körperwahrnehmung sein oder eine Erweiterung der Sinne. Oftmals entsteht eine besondere Leichtigkeit, die unseren Blickwinkel auf eine gänzlich neue Ebene erhebt. Probleme des Alltags oder gar unser eigenes körperliches Dasein erscheinen plötzlich banal. Wir können spüren, wie unser Ego beginnt, sich aufzulösen und sich innere – geistige – Verknotungen lösen. Möglicherweise erkennen wir eine neue Wahrheit, die sich über alles andere erhebt. Eine Wahrheit, die uns zeigt, dass alles miteinander verbunden ist. Menschen, Tiere, Pflanzen, aber auch jeder Fels, das Wasser und der Himmel. Unser gesamter Planet und alles darüber hinaus ist Geist. Alles bedingt einander, alles fließt ineinander, alles ist miteinander verbunden. Alles, was wir sehen, und alles, was wir nicht sehen, sind Abstufungen, Erweiterungen oder Aspekte ein und derselben Sache: Des einen ewigen Geistes.
Die Energie, die dieses Eine verbindet, hat viele Namen. Die Yogis nennen sie Prana. Prana ist eine unendliche Kraft, die in allen Ebenen fließt und alles Leben möglich macht. Sie wurzelt in Brahman, dem Urgrund allen Seins oder dem zuvor genannten ewigen Geist. Durch Meditation ist es möglich, die Wege des Prana zu erspüren und zu kontrollieren. Fortgeschrittene Yogis sind somit in der Lage, Einfluss auf ihre körperliche und geistige Energie zu nehmen. Daher sind sie fähig, ihre innere Balance ins Gleichgewicht zu bringen und den Körper bei seinen heilenden sowie kräftigenden Prozessen zu unterstützen. Ebenso können geistige Blockaden oder Traumata bewusst angesteuert und aufgelöst werden. Durch die Kontrolle des Prana sind wir also in der Lage, Körper und Geist zu reinigen. Darüber hinaus verändert sich unsere Ausstrahlung – auch Aura genannt – und das Energieniveau unseres gesamten Umfelds. Somit können nicht nur unsere Mitmenschen und unsere Umwelt positiv von uns beeinflusst werden, sondern auch unsere Erfahrungen mit diesen. Denn die Außenwelt ist nur der Spiegel der inneren. Sind wir innerlich ausgeglichen, klar und weise, so werden uns diese Aspekte unweigerlich auch im Außen wieder begegnen. Schenken wir der Welt ein Lächeln, dann lächelt sie zurück. Und schließlich sind wir Samadhi auf unserem Weg ein ganzes Stück näher gekommen. Doch der Weg ist noch weit und wer behauptet, dieses scheinbare Ziel erreicht zu haben, der ist weiter davon entfernt denn je.
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